SUP-Coaching: Wo Sorgen sich im Flow verlieren
Samstagmorgen, 8:00 Uhr. Eigentlich die Zeit, in der ich es genieße, den Tag mit einer Tasse Kaffee im Bett zu begrüßen. Stattdessen stehe ich mit meiner Klientin Katharina an der „Alten Liebe“ und pumpe unsere SUP-Boards auf. Die Havel glitzert verführerisch, sanfte Wellen rollen rauschend ans Ufer, Vögel zwitschern, kein Mensch weit und breit, nur zwei Segelboote gleiten lautlos übers Wasser.
Wir paddeln in Richtung „Klein Venedig“, einer zauberhaften Kleingartenkolonie an einem Seitenarm der Havel. Verträumt betrachten wir die Hausboote mit ihren großen Glasfenstern und gestehen uns gegenseitig, ein Leben auf dem Wasser wäre fein. Wenige Paddelschläge weiter das Kontrastprogramm. Unter der Stössenseebrücke leben Obdachlose in einem Mini-Zeltdorf. Auf der Ufermauer stehen aufgereiht Gaskocher, Küchengeschirr und Flaschen. Gleich hinter Brücke eröffnet sich der Blick auf eine der vielen Marinas, die wir auf unserer Tour kreuzen werden. Das andere Berlin. Yachten in diversen Größen und Ausstattungen.
Ein schmaler Seitenarm und schon sind wir in „Klein Venedig“, wieder in einer völlig anderen Welt. Schweigsam genießen wir die üppig blühenden Vorgärten der individuell gestalteten Häuschen am linken Uferrand. Enten, Haubentaucher, Schwäne und Blesshühner führen ihren Nachwuchs aus, Reiher sitzen wie Skulpturen auf knorrigen Baustämmen, erste Seerosen haben ihre Knospen gesprengt. Wir passieren ein Naturschutzgebiet, auf dem weißgoldene Rinder grasen. Die Wasserwege verzweigen weiter. Katharina entspannt sich und beginnt zu erzählen.
Es ist die Sorge um ihren Vater, die auf ihrer Seele lastet. Der einstige Lebemann hatte sich nach seiner Frühpensionierung ein Haus auf Mallorca gekauft und dort unbekümmert ein kostspieliges Leben geführt. Inzwischen sind seine Rücklagen weitgehend aufgebraucht, kaum noch soziale Kontakte vorhanden, physische und psychische Probleme mehren sich. Katharina hat die Rolle der Kümmerin übernommen, während sich ihre Brüder weitgehend zurückhalten. Lange schon war deren Verhältnis zum Vater sehr ambivalent gewesen. Einerseits war er ein liebevoller Vater gewesen, andererseits ein launischer Ehemann mit zahlreichen Affären und ausgeprägter Selbstbezogenheit. Nach der Scheidung der Eltern hatten sich die Brüder von ihrem Vater zurückgezogen, nur Katharina hatte regelmäßig Kontakt gehalten. Bis heute hat sich daran nichts geändert und angesichts der aktuellen Situation fühlt sie sich überfordert. Zwischen ihrem fordernden Beruf, der eigenen Familie mit zwei pubertierenden Kindern sowie den organisatorischen Aufgaben, die sie inzwischen für ihren Vater übernimmt, bleibt ihr kaum Zeit zum Durchatmen.
Als ehemalige Wassersportlerin, die ihr Hobby kaum noch ausübt, war sie begeistert von der Idee, sich auf dem Wasser coachen zu lassen. Inzwischen sind wir wieder an der Havel angelangt und suchen uns eine Stelle, an der wir unsere Boards verbinden und das mitgebrachte Frühstück auspacken können. Inmitten der Natur, die Füße im Wasser baumelnd, findet Katharina Worte für ihre widerstreitenden Gefühle. Wut, Schuldgefühle, Liebe, Ärger, Überforderung – es ist ein Chaos, was wir im Gespräch ordnen können. Wir besprechen Möglichkeiten, die Lasten zu verteilen, Lösungen für konkrete Probleme zu finden und Verantwortung abzugeben, ohne dabei ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Nicht für alles gibt es sofort eine Lösung, aber Wege, die gangbar sind und deren Wirkung in Ruhe betrachtet werden kann. Vielleicht schon beim nächsten SUP-Coaching. Für die Zeit dazwischen gebe ich ihr einige Schreibimpulse mit, die sie in ihrem Schreibjournal zum Selbstcoaching nutzen kann.
Wir paddeln vorbei am Hundestrand und beobachten eine Weile die spielenden Vierbeiner. Die Sonne steht schon höher, Paddelboote mit fröhlich grüßenden Menschen passieren unseren Weg, die Segelboote sind zahlreicher geworden. Eine gelöste, heitere Stimmung liegt über der Havel und Katharinas frische Zuversicht springt auf mich über. Ich liebe meinen Job. Kaffee im Bett ist nichts dagegen.